Verlage sind systemrelevant
Die Buchindustrie steht extrem unter Druck. Betroffen sind nicht nur die jungen, unabhängigen Verlage, sondern auch etablierte Häuser.
Die Folgen sind gravierend.
Von Katharina E. Meyer
Am 16. Oktober verleiht Kulturstaatsministerin Claudia Roth auf der Frankfurter Buchmesse den deutschen Verlagspreis 2024 und würdigt die Arbeit von 84 konzernunabhängigen Verlagen mit einer Urkunde und mindestens 18.000 Euro Preisgeld. Dass nicht alle Verlage, die die Kriterien des Preises erfüllen, in seinen Genuss kommen, liegt in der Natur der Sache. 2019 führte die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), Monika Grütters, den Verlagspreis als Brückenkopf einer langfristig angestrebten strukturellen Verlagsförderung ein, deren Bedarf man damals mit rund 10 Millionen Euro jährlich bezifferte.
Seit Jahren setzen sich die Kurt Wolff Stiftung und der Börsenverein des deutschen Buchhandels für eine strukturelle Verlagsförderung ein, denn die Buchbranche erfährt folgenschwere Konzentrationsprozesse: Verlagskonzerne wachsen durch Zukauf kleinerer Verlage, im Buchhandel sind Ketten entstanden, die Stadt um Stadt unternehmergeführte Buchhandlungen zukaufen. Einer von Grütters beauftragten Studie zufolge wurden 2018 79 Prozent aller Verlagsumsätze von den 40 größten Verlagen erwirtschaftet, die nur zwei Prozent aller Verlage in der Statistik ausmachten.
Für kleinere unabhängige Verlage ist der Strukturwandel verbunden mit veränderten Einkaufsmodellen, die ihnen den Zugang in den Buchhandel verwehren, und mit schwindender Sichtbarkeit, die sie selbst nicht überwinden können. Zudem sind sie wie die gesamte Branche von gestiegenen Kosten und verändertem Medienkonsum betroffen.
Zahlreiche Verlage mit einem Jahresumsatz bis 1 Million Euro haben nur ein bis zwei feste Mitarbeiter – inklusive Verlegerin oder Verleger – und beschäftigen vor allem Freiberufler, um Texte zu übersetzen, lektorieren, gestalten, bewerben und vertreiben. Sie besonders kämpfen mit den Strukturveränderungen. Dabei sorgen gerade sie für mutige Entdeckungen neuer Autorinnen und Autoren, indem sie Themen setzen und neue Formate entwickeln für Vielfalt und Dynamik. Es gibt in Deutschland viele dieser kleinen Verlage. Das mag man – genau wie das Netz unternehmergeführter Buchhandlungen, die Claudia Roth kürzlich als Garanten des freien Wortes würdigte – als Zeichen von Resilienz deuten. Sind also Verleger, die eine strukturelle Verlagsförderung fordern, wie sie etwa in Österreich, der Schweiz oder Kanada seit Jahren existiert, notorische Jammerer, die es allein nicht hinkriegen, ertragreich zu arbeiten?
Der Börsenverein, stets bemüht, nicht das Klischee der klagenden Branche zu bedienen, weist seit 2011 auf die rückläufigen Buchkäuferzahlen hin. Von 2011 bis 2020 gingen 8,1 Millionen verloren. im Juli betonte der Verband, die Branche stehe trotz stagnierender Umsatzzahlen und rückläufiger Absatzzahlen „im Ganzen gut“ da. Erfreulich sei die steigende Buchnachfrage bei Jugendlichen, was auch der neue Kulturpass für Achtzehnjährige gezeigt habe. Bei den unter Fünfundzwanzigjährigen habe das Interesse für Bücher zugenommen.
Stagnierender Umsatz bei sinkendem Absatz bedeutet nichts anderes, als dass die Verlage den Umsatz mit steigenden Preisen stabilisieren. Aber die jüngere Zielgruppe macht Mut. Den Erfolg des Kulturpasses mit gut 130.000 registrierten Achtzehnjährigen belohnte die Bundesregierung mit der Halbierung des Budgets für 2024. Doch spüren den wirtschaftlichen Druck nicht nur junge, unabhängige Verlage, denen die Zeit fehlte, sich durchzusetzen, wie &töchter, die fünf Jahre nach ihrem Erstling keine neuen Titel verlegen können.
Geht es nicht mehr ohne Spenden?
Längst sind auch etablierte, renommierte Verlage betroffen: Reprodukt wies 2022 mit einem Crowdfunding auf seine prekäre Wirtschaftslage hin, weitere Verlage, Katapult, Merlin, Nautilus und Verbrecher, folgten und baten in Aufrufen um Spenden für Einzelprojekte oder ganze Programme.
Müssen wir uns im Kulturland Deutschland daran gewöhnen, dass Verlage, die die Literatur fördern, indem sie unbekannten Autorinnen und Autoren eine Stimme geben, und die seit Jahren durch Buchveröffentlichungen zu Themen wie Freiheit der Kunst, §175, §218, Prekariat, Migration, Gleichberechtigung, Kolonialismus, Politischer Islam, Diversität die Gesellschaftsdebatten anstoßen und begleiten, auf die Unterstützung privater Spender angewiesen sind, um ihre demokratiestärkende Arbeit fortzusetzen? Wann – außer bei Sonntagsreden – geben sich Politikerinnen und Politiker eigentlich noch als Lesende zu erkennen? Auf vielen Ebenen, das zeigen Gespräche mit Politikern, herrscht bemerkenswerte Unkenntnis darüber, wie die Buchindustrie funktioniert, welcher ethische Anspruch sie seit jeher antreibt und welche wirtschaftlichen Risiken gerade unabhängige Verleger auf sich nehmen, um Bücher zu verlegen.
Kultur als Basis des Zusammenlebens
Unverständlich bleibt auch ein Umstand aus den Haushaltsberatungen des Vorjahres. Während wiederholt zu hören war, dass die Mittel für eine strukturelle Förderung beim besten Willen nicht verfügbar seien, erreichte ein anderer Bereich der Kreativwirtschaft, die Games-Industrie, für die Jahre bis 2026 einen Förderzuwachs von 100 Millionen Euro. Was sagt das aus über das kulturelle Selbstverständnis in Deutschland? Über Kultur spricht man nicht, Kultur hat man. Ein Satz des ehemaligen Direktors der Hamburger Kunsthalle, Werner Hofmann. Nicht mit Kultur protzen, sie ist einfach da, bestenfalls. Sie ist die Basis menschlichen Zusammenlebens, Kitt und Motor einer Gesellschaft. Unsere demokratische Gesellschaft ist durch eine Kultur der Offenheit und Toleranz, des Respektes und der Vielfalt gekennzeichnet. Sind – und gerade sieht es danach aus – diese Werte bedroht, müssen sich die Bürger mobilisieren, und die Politik muss reagieren. es geht um Wertschätzung und Förderung unserer demokratischen Kultur in Bildung und täglichem Zusammenleben.
Während der Anteil der Buchbranche am Gesamtumsatz der Kreativwirtschaft (2021: 175,4 Milliarden Euro) vergleichbar ist mit dem der Bereiche Film, Theater, Musik und Bildende Kunst zusammen, nämlich zwischen 9 und 10 Prozent, unterscheiden sich die jeweiligen Fördersummen erheblich. Die Buchbranche ist mit 54.000 Festangestellten und einer in der Statistik nicht präzise differenzierbaren großen Zahl von Freiberuflern eine Schnittstelle in der Kreativwirtschaft. Sie wird aktuell vom Bund mit rund 4 Millionen Euro jährlich unterstützt. Davon fließen 2,45 Millionen Euro als Preisgelder für Buchhandlungspreis und Verlagspreis direkt den ausgezeichneten Unternehmen zu.
Man darf die Kulturbereiche nicht gegeneinander ausspielen. Aber man muss diskutieren, ob die Förderung der Buchbranche angesichts der aktuellen kulturellen und gesellschaftspolitischen Herausforderungen noch ausreicht. Die Bundesregierung selbst verabredete in ihrem Koalitionsvertrag die Prüfung einer strukturellen Verlagsförderung mit Mitteln aus Bund und Ländern. Damals waren die Hoffnungen im Referat der BKM, beim Börsenverein und in der KWS groß. Inzwischen, nach vielen Gesprächen ohne belastbare positive Ergebnisse, droht Tristesse.
Die Resilienz, das Selbstverständnis der Verlage, die das Buch als Medium des gesellschaftlichen Diskurses immer wieder neu beleben, die Bereitschaft in kleinen Verlagen, sich der Sache wegen selbst auszubeuten, entbinden die Regierung nicht ihrer Verantwortung: Gerade jetzt braucht Deutschland eine in die Zukunft orientierte verlagserhaltende Bildungs- und Kulturpolitik. Literatur und Kunst legen das Fundament im Maschinenraum der Demokratie: Buchmenschen sind – wie Filmemacher, Künstlerinnen, Schauspieler, Regisseurinnen – Verbündete bei den Bemühungen um den Erhalt der Demokratie.
Vor wenigen Wochen fand in Paris die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele statt. Wie auch immer man über sportliche Großereignisse denkt, zweifelsohne ist es Tony Estanguets Team gelungen, durch das Zusammenspiel der Kreativen aus Kunst, Theater, Literatur, Mode und Film eine so energiegeladene positive Welle in Bewegung zu setzen, dass ein einzigartiges, lebendiges Bild der französischen Kulturnation gezeichnet wurde. diese Welle erfasste nicht nur die Franzosen, sondern schwappte über die Grenzen. Schon war die Sehnsucht geweckt. Könnte man sich Vergleichbares derzeit in Deutschland vorstellen? Eher nicht, und nicht aus Mangel an kreativen Köpfen und Händen, sondern weil das kulturelle Selbstverständnis hierzulande kränkelt. Es gibt mehr zu tun, als vor laufenden Kameras demokratiebeschwörende Reden zu halten.
Gastbeitrag in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 02.10.2024