Rede zum Förderpreis der Kurt Wolff Stiftung 2025

Rede zum Förderpreis der Kurt Wolff Stiftung 2025  

Sehr geehrte Frau Ministerin Roth, verehrte Frau Böhmisch, liebe Katharina Meyer, lieber Friedrich Dieckmann, liebes Kurt Wolff Kuratorium, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebes Publikum   

Es sieht schlimm aus in der Welt, schrieb 1964 die große Autorin Marie Luise Kaschnitz, und sie fügte hinzu: Aber wie es aussehen würde ohne die Anstrengungen der Schreibenden wissen wir nicht. Wie Recht sie hatte! Man könnte den Satz noch ausweiten und die Verlegerinnen und Verleger hinzunehmen. Denn das Schreiben und das Verlegen von Büchern kommt auch in heutigen Zeiten einer Trotzhandlung gleich. Aber manchmal trägt dieser Trotz ganz besondere Früchte. Wie haben wir uns gefreut, dass man uns in diesem Frühjahr den Förderpreis der Kurt Wolff Stiftung verleiht. Eine bessere Anerkennung für mehr als 22 Jahre Arbeit gegen das Vergessen ist kaum vorstellbar – für uns ist das zugleich Ansporn und Verpflichtung! Gerade den kleinen unabhängigen Verlagen weht ja der Wind derzeit heftig ins Gesicht, besonders aber, wenn das Verlagsprogramm etwas außerhalb des publikumsträchtigen Unterhaltungsmarkts liegt. Ich erinnere mich noch genau: Als wir vor 22 Jahren mit unserer kleinen biografischen Reihe Menschen und Orte begannen, da schlug uns aus dem Buchhandel große Skepsis entgegen. Das waren ja schmale Hefte, wenn auch wunderschöne, wie man uns bescheinigte. Aber wie sollte man die ans Publikum bringen? Man musste sie ja breit auslegen, denn im Bücherregal waren sie so gut wie unsichtbar. Und dann diese Themen: Wolfgang Koeppen in Greifswald, Arno Schmidt in Bargfeld, Annette von Droste Hülshoff im Rüschhaus … Eine Buchhändlerin, deren Namen ich hier verschweige, hatte den Namen Wolfgang Koeppen noch nie gehört. Der ist wohl schon lange tot, oder? Und dann nur schwarzweisse Fotos. Warum nicht bunt? Na, und die Verkaufspreise waren auch sehr niedrig und versprachen kaum Umsatz. Zum Glück änderte sich das schnell. Einige Buchhandlungen wagten es, ein Schaufenster mit dem Farbenreigen unserer Umschläge zu gestalten. Und die Leute kamen – und kauften. Und sie fragten nach mehr. Die Neugier auf die Geschichten und die Lebensorte hinter den Werken der SchriftstellerInnen und KünstlerInnen war groß und da kamen unsere kurzen aber künstlerisch liebevoll aufbereiteten Biografien genau richtig. Ja manch ein begeisterte Leser bescheinigte uns, wir hätten gerade mit dieser kleinen Reihe eine neue Kategorie geschaffen: Die Kurzbiografie als Kunstform! Und Buchhändler berichteten, dass ihr Publikum vermehrt auch an den Originalwerken Interesse zeigte. Man fragte plötzlich nach Arno Schmidts Büchern, nach Tania Blixen, Marie Luise Kaschnitz, Anna Seghers. Die Reihe entwickelte sich zum Selbstläufer, genauso wie die zweite, etwas breiter angelegte Biografiereihe, die wegmarken. Und es waren nicht nur, die schönen, oft selbst als poetische Essays daherkommenden Texte, sondern ganz besonders gerade die atmosphärischen Schwarzweissfotos, die ausnahmslos von Angelika Fischer stammen, meiner Verlagspartnerin, für die das A im Verlagsnamen steht. (Übrigens gehören die Punkte zwischen A und B in unserem Verlagsnamen stets auf Mitte gesetzt!) Und nicht nur im Alphabet steht ja der Buchstabe A vor dem Buchstaben B (wie Bernd). Denn als beachtliche Fotokünstlerin ist es ja gerade ihr Ansatz, das Lebensumfeld der Künstler und SchriftstellerInnen in eine Art „indirektes Porträt“ zu bannen, so, als sei die Zeit eben stehen geblieben.

In Virginia Woolfs Roman „Die Fahrt zum Leuchtturm“ gibt es ein Kapitel mit der Überschrift „Die Zeit vergeht“ und darin die Beschreibung eines verlassenen Landhauses. Die Möbel, die Spiegel und die Kleidungsstücke erwachen da zu eigenem Leben: „So herrschten Schönheit und Stille, und miteinander bildeten sie die Gestalt der Schönheit selbst, eine Form, von der das Leben sich geschieden hatte;…“ Genau diese Magie fing die Fotografin auch in ihren Bildern ein, und diese magische Langzeitwirkung war es, die unser Publikum in den Bann schlug und uns eine immer mehr wachsende Anhängerschaft zuführte. Bald wuchs dann auch der Wunsch, nicht nur Persönlichkeiten wieder zu beleben, sondern auch vergessene Werke. Sie kennen das alle: Sie stehen vor Ihrem Bücherregal und ziehen beiläufig ein altes Buch heraus, dass sie irgendwann, kann sein vor Jahrzehnten, antiquarisch erworben haben. Und sie fragen sich: Warum gibt es das heute nicht mehr? Oder warum wurde das nie ins Deutsche übersetzt? Längst sahen wir uns als gestandener Buchverlag, wir wollten neben den Biografien auch Bücher veröffentlichen, die uns wichtig erschienen, und das sowohl von heutigen, wie auch von vergessenen AutorInnen. So entstanden in rascher Folge Romane und vor allem Erzählungsbände, die – das war für mich als Buchgestalter selbstverständlich – auch optisch und haptisch kleine Juwelen sein sollten. Aber leider ging es uns damit, wie dem großen Wilhelm Busch. Jeder kennt seine wunderbaren Bildergeschichten, jeder kennt Max und Moritz und viele auch Die fromme Helene. Dass der Mann überdies ein beindruckender Landschaftsmaler war und auch ein wahrhaft philosophischer Kopf, ist den meisten vollkommen unbekannt. Wir aber waren für viele BuchhändlerInnen „die mit den biografischen Heften“, und so sehr sich unsere Vertreterinnen und Vertreter mühten – denen ich hier noch einmal dafür Anerkennung und Dank aussprechen möchte – die Umsätze unserer Belletristikproduktion blieben stets hinter den Reihentiteln zurück. Dabei haben wir auch hier einiges zu bieten. Ich erwähne da nur die Stories des genialen amerikanischen Erzählers Richard Harding Davis – seinerzeit ein Bestsellerautor – von dem wir eben gestern auf der Messe den zweiten Band Der tollkühne Reiter vorstellen konnten – übrigens wieder in der wunderbaren Übersetzung von Hans Christian Oeser, oder die schaurig schönen Novellen von Carl Jonas Love Almqvist, dem „schwedischen Edgar Allan Poe“, zu dem uns Lutz Rühling so prächtige Neuübersetzungen geliefert hat. Ich selbst hatte als Herzensbuch den ehemaligen Megaseller der britischen Suffragette und Schriftstellerin Beatrice Harraden, Ships that pass in the night, übersetzt, der sich wie eine frühe Fassung von Thomas Manns Zauberberg liest. Aus meiner Übersetzung ihres Romans – Wie Schiffe in der Nacht – wird sogar in Davos an einem Hörpfad zitiert, der sich mit den literarischen Erinnerungen an die dortigen Lungensanatorien befasst. Treten wir auf Büchermärkten auf – was wir sehr gern tun – dann ist das Publikum stets entzückt auch von diesem Teil unseres Programms. Es können also nicht die falschen Bücher sein. Nur der Buchhandel scheint das zu übersehen. Liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler, möchte ich da ausrufen, kommt doch mal an unseren Stand H311, gleich hier vor dem Forum der Unabhängigen und schaut mal etwas genauer hin! Als wir jüngst einen wegmarken-Band über den grandiosen Schriftsteller Wolfgang Hilbig herausbrachten – er wird übrigens morgen um 13:00 genau an diesem Ort durch den Dichter Uwe Kolbe vorgestellt, da konnten wir abermals feststellen, dass ein Autor, der so ziemlich alle deutschen Literaturpreise abgeräumt hatte, nur so lange präsent blieb, wie an ihm der ihm vom Westen angehängte Stallgeruch des „Arbeiterschriftstellers aus der DDR“ haftete. Vielleicht muss ja da gerade ein kleiner Verlag wie wir mithelfen, um diesen Giganten der deutschen Literatur wieder ins Bewusstsein zu bringen? Wir werden jedenfalls nicht nachlassen mit unseren Bemühungen, auch wenn die Zeiten äußerst schwierig sind. Nach der Corona-Pandemie, nach dem Ausbruch des furchtbaren Krieges in der Ukraine und dazu noch einem erzwungenen Wechsel unserer Verlagsauslieferung im Jahr 2022 hatten wir uns so manches Mal gefragt wie es weitergehen würde. Es kam fast einem Wunder gleich, dass wir in einer Zeit, in der etliche Verlage gleichzeitig nach einer neuen Auslieferung suchten, in der Werkstatt in Rastede einen wunderbaren Partner fanden, bei dem wir uns mehr als wohl fühlen. Dafür möchten wir Bernd Weidmann und seinem Team ganz herzlich danken. Und ist es nicht irgendwie symptomatisch, dass im Herbst dieses Jahres in der Edition A·B·Fischer ein Band des Autors Roland Leonhardt erscheint, mit dem Titel Wenn ich Geld hätte…Der Untertitel gibt nähere Auskunft: Dichtung, Geld und Dauerpleite. Erzählt wird darin von dem dauernden Kampf ums Geld, ja manchmal um die bloße Existenz von Dichterinnen und Dichtern, die uns eigentlich als Erfolgsautoren in Erinnerung sind. Ja, selbst viele von ihnen rangen ständig mit ihren Geldsorgen. Wenn man nun – wie eingangs vorgeschlagen – das Statement von Marie Luise Kaschnitz von den Dichtern auf die VerlegerInnen ausdehnt, dann wird vorstellbar, welch große Freude uns die Kurt Wolff Stiftung mit diesem Förderpreis gemacht hat. Neben der großen Ehre die diese Anerkennung für uns und unsere Arbeit darstellt, ist natürlich auch das Preisgeld eine willkommene Unterstützung für uns.

Noch einmal möchte ich in unser beider Namen ganz, ganz herzlich danken, dem Kuratorium, dem Laudator Friedrich Dieckmann, aber unbedingt auch Karsten Dehler und Carolin Callies die mit ihrer unermüdlichen Arbeit all das hier in einen würdigen Rahmen gebracht haben.

Es mag zwar wieder mal schlimm zugehen in der Welt, aber soviel Zusammenhalt und soviel Optimismus in unserer großartigen Verlagsbranche lässt hoffen, dass die Anstregungen der Schreibenden – und der VerlegerInnen – ein mächtiges Gegengewicht für die Kultur und für die Demokratie bilden.

Vielen Dank! Bernd Erhard Fischer, am 28.3.2025