Ermahnt, kurz zu sprechen, maximal fünf Minuten, bleiben drei Gesichtspunkte, die es vor allem wert sind, heute hier vorgebracht zu werden.
1. Zunächst: Auch ich danke der Kurt-Wolff-Stiftung, dass sie heute den Kurt-Wolff-Preis an unseren Verlag, an Theater der Zeit, verleiht- und das völlig zu recht. Vielleicht darf ich, der ich den Verlag 1993 gründete, mit Partnern, einer von Ihnen ist heute unter uns: es ist Friedrich Dieckmann, vielleicht darf ich den Preis auch als wertschätzende Krönung meiner Arbeit über mehr als 30 Jahre werten. Der heutige Tag ist eine große Genugtuung und Ehre für mich. Ich teile sie mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlages.
2. Was auch gerechtfertigt wäre: Hätten wir den Preis bereits eher, vielleicht zehn Jahre eher zugesprochen bekommen, so hätte es ein Mann noch erleben können, dem der Verlag viel verdankt. Ich hätte es ihm sehr, sehr gegönnt.
Ich spreche von Martin Linzer, dem langgedienten Redakteur der Zeitschrift Theater Zeit und ersten frei gewählten Chefredakteur nach der Wende. Ich nehme ihn symbolisch mit auf in den Kreis der heute hier Prämierten, dessen Denk- und Arbeitsethos die wesentliche Grundlage des Arbeitens in unserem Verlag bildete und noch immer bildet.
Der, der das TdZ-Gen begründete und es über Jahre und Jahrzehnte unverwechselbarer Theatergeschichte exemplarisch für sich ausdifferenzierte und an uns übergab.
Der uns lehrte, das Theater zu lieben.
Ich fragte ihn gleich zu Beginn unserer Zusammenarbeit Anfang/Mitte der 90er Jahre, wie das für ihn als Theaterkritiker zusammenpasse: das Theater zu lieben, es gleichwohl aber auch zu kritisieren. Er antwortete: „Sie müssen den Horatier von Heiner Müller lesen, dann wirds ihnen helle, lieber Herr Müller.“ Nun, ich wollte mich nicht länger dem Verdacht aussetzen, im Dunklen zu stehen, und ich las Heiner Müller, den Horatier.
Und von den Römern fragte die andere: Wie soll der Horatier genannt werden der Nachwelt?
Und das Volk antwortete mit einer Stimme:
Er soll genannt werden der Sieger über Alba.
Er soll genannt werden der Mörder seiner Schwester.
Mit einem Atem sein Verdienst und seine Schuld.
Und wer seine Schuld nennt und sein Verdienst nicht
nennt, der soll mit den Hunden wohnen als ein Hund.
Und wer sein Verdienst nennt und seine Schuld nicht
nennt, der soll auch mit den Hunden wohnen.
Wer aber seine Schuld nennt zu einer zeit
Und nennt sein Verdienst zu anderer zeit
Redend aus einem Mund zu unterschiedlicher Zeit anders
oder für verschiedene Ohren anders
Dem soll die Zunge ausgerissen werden.
Nämlich die Worte müssen rein bleiben.
Denn
ein Schwert kann zerbrochen werden und ein Mann
Kann auch zerbrochen werden, aber die worte
Fallen in das Getriebe der Welt uneinholbar
Kenntlich machend die Dinge oder unkenntlich.
Tödlich dem Menschen ist das Unkenntliche.
So, jetzt stehen wir alle im Licht.
Und deshalb folgt Punkt 3 kurz und in Form eines Fragesatzes:
Wo bleibt der Champagner?
Harald Müller / Theater der Zeit / Gehalten am 28. März 2025