Dankesrede Kurt-Wolff-Preis 2025

Sehr geehrte Frau Kulturstaatsministerin Claudia Roth, liebe Katharina Meyer, lieber Friedrich Dieckmann, hochverehrtes Kuratorium, liebe Autorinnen und Autoren, Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde des Buches und der Theaterkunst,

es ist eine außerordentliche Ehre für uns, heute den Hauptpreis der Kurt Wolff Stiftung entgegennehmen zu dürfen – eine überregionale und renommierte Auszeichnung, mit der wir in keinster Weise gerechnet haben.

Unser Selbstverständnis macht es vielen öffentlichen Stellen nicht leicht. Wir stehen oft zwischen den Stühlen oder passen nicht recht hinein: Sind wir nun Buchverlag, Presse oder Buchhandlung? Sind wir Kultur oder Wirtschaft? Die Sortimentsbuchhandlungen sagen uns: „Das ist Kunst und passt hier nicht rein.“ Die Kunstbuchhändler wiederum meinen: „Das ist Theater und passt hier nicht rein.“

So liefern wir mit unserer täglichen Arbeit ständig Gründe dafür, dass man uns sagt: „Nein, Ihr nicht.“ Doch letztlich sind das alles formale und strukturelle Kriterien, die uns gar nicht interessieren. Was uns interessiert, ist das Theater – und alles, was damit zusammenhängt. Denn das Theater bietet genug Stoff. Es ist Spiegel der Gesellschaft. Es geht alle an. Es ist relevant für die ganze Gesellschaft. (Umso skandalöser, dass es aktuell bundesweit von Kürzungen betroffen ist.)

Das Darstellende Spiel und das Verlegen von Büchern scheinen zunächst im Widerspruch zueinander zu stehen: Das Medium Theater ist lokal,    flüchtig im Moment,    für viele Zuschauer zugleich – eine Gemeinschaftserfahrung. Das Medium Buch hingegen ist für die Ewigkeit („Wer schreibt, der bleibt“) und wird meist individuell rezipiert. Diese Diskrepanz schreckt viele Mitbewerber ab – aber genau diese Spannung interessiert uns sehr. Wir bewahren in gewisser Weise flüchtige Gemeinschaftsmomente. Uns faszinieren die vielfältigen Ausdrucksformen des Theaters, die gesellschaftliche Konflikte und Machtverhältnisse aufdecken und hinterfragen. Uns interessiert das Ergebnis von Theater ebenso wie der Weg dorthin – die Macher:innen ebenso wie ihr Publikum.

Unser Claim lautet daher bewusst: „Das ganze Theater“. Dabei geht es um Wertschätzung, Anerkennung und Teilhabe in einer heterogenen Gesellschaft, in der jede und jeder gleichberechtigt ihren Platz findet und niemand ausgegrenzt wird. Wir fühlen uns magisch zur Nische hingezogen – selbst innerhalb des Theaters. Ressentiments gegenüber Puppenspiel, Kindertheater oder Zirkus haben bei uns keinen Platz; all diese Formen – oder kleineren Sparten finden selbstverständlich ihren Raum neben dem Schauspiel oder der Oper. Oft sind es diese Orte oder interdisziplinäre Projekte, die Innovationen hervorbringen. Wir verstehen uns als Mittler zwischen den Sparten, zwischen Publikum     und Theaterbetrieb sowie zwischen Wissenschaft und Praxis. Wir halten Ausschau nach neuen Tendenzen und aktuellen Kunstformen, ohne dabei den Blick für Geschichte und Herkunft zu verlieren. In diesem Sinne fühlen wir uns dem Namensgeber der Stiftung, Kurt Wolff, sehr verbunden, der einst sagte: „Wir müssen offen sein für das Heutige, wie wir offen bleiben sollten für das Gestrige“.

Das Kuratorium der Kurt Wolff Stiftung hat großen Mut bewiesen, indem es unser Wagnis auszeichnet – ein Wagnis nämlich, das sich jeglicher ökonomischen Logik entzieht. Unabhängiges Verlegen scheint einem ewigen Startup zu gleichen, dass ohne Exitstrategie auskommen muss. Die wichtigsten Kapitalgeber, unser Kapital! sind die vielen hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Autorinnen und Autoren, die an unsere Sache glauben und mit ihrem Einsatz „Theater der Zeit“ schaffen und ermöglichen. Unser Verlag bringt Kompetenzen aus Wissenschaft, Journalistik, Grafikdesign, Drucktechnik, Software-Programmierung und Wirtschaft zusammen – aus verschiedenen Generationen und unterschiedlichsten Herkünften –, was ihn zu einem unglaublich sozialen Ort macht. Es motiviert mich tagtäglich aufs Neue und erfüllt mich mit Dankbarkeit, dass wir mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern zusammenarbeiten dürfen, die ebenfalls davon überzeugt sind, dass Arbeitszeit einen Lebenssinn erfüllen muss. Ich kenne keinen anderen Verlag, der 20 Leute beschäftigen kann, die sich mit Theater befassen. Das ist doch unfassbar! Was wir mit dieser gelebten Utopie mittlerweile erreicht haben, erfüllt mich mit Stolz. Das können wir heute wirklich mal richtig feiern.

Der Verlag, quasi unser Kollektiv – ist ein Getriebe, das auf jedes einzelne Zahnrad angewiesen ist. Dennoch gibt es eine Person, ohne die „Theater der Zeit“ in seiner heutigen Form nicht möglich gewesen wäre: meinen langjährigen Kompagnon in der Geschäftsführung Harald Müller. Harald hat nach der Abwicklung durch die Treuhand Anfang der 90er Jahre „Theater der Zeit“ gemeinsam mit engagierten Mitstreitern neu gegründet, den Verlag durch turbulente Transformationsjahre geführt und vor fast 30 Jahren den Buchverlag ins Leben gerufen. Vor knapp 20 Jahren holte er mich in den Verlag und teilte mit mir, bis zu seinem Ruhestand mit größtem Vertrauen die Geschäftsführung.

Lieber Harald: Diesen Preis sehe ich auch als große Anerkennung deiner Lebensarbeit! Vielen herzlichen Dank dafür!

Paul Tischler / Theater der Zeit /Gehalten am 28.03.2025