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Dankesrede Kurt-Wolff-Preis

Ermahnt, kurz zu sprechen, maximal fünf Minuten, bleiben drei Gesichtspunkte, die es vor allem wert sind, heute hier vorgebracht zu werden.

1.         Zunächst: Auch ich danke der Kurt-Wolff-Stiftung, dass sie heute den Kurt-Wolff-Preis an unseren Verlag, an Theater der Zeit, verleiht- und das völlig zu recht. Vielleicht darf ich, der ich den Verlag 1993 gründete, mit Partnern, einer von Ihnen ist heute unter uns: es ist Friedrich Dieckmann, vielleicht darf ich den Preis auch als wertschätzende Krönung meiner Arbeit über mehr als 30 Jahre werten. Der heutige Tag ist eine große Genugtuung und Ehre für mich. Ich teile sie mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlages.

2.         Was auch gerechtfertigt wäre: Hätten wir den Preis bereits eher, vielleicht zehn Jahre eher zugesprochen bekommen, so hätte es ein Mann noch erleben können, dem der Verlag viel verdankt. Ich hätte es ihm sehr, sehr gegönnt.

Ich spreche von Martin Linzer, dem langgedienten Redakteur der Zeitschrift Theater Zeit und ersten frei gewählten Chefredakteur nach der Wende. Ich nehme ihn symbolisch mit auf in den Kreis der heute hier Prämierten, dessen Denk- und Arbeitsethos die wesentliche Grundlage des Arbeitens in unserem Verlag bildete und noch immer bildet.

Der, der das TdZ-Gen begründete und es über Jahre und Jahrzehnte unverwechselbarer Theatergeschichte exemplarisch für sich ausdifferenzierte und an uns übergab.

Der uns lehrte, das Theater zu lieben.

Ich fragte ihn gleich zu Beginn unserer Zusammenarbeit Anfang/Mitte der 90er Jahre, wie das für ihn als Theaterkritiker zusammenpasse: das Theater zu lieben, es gleichwohl aber auch zu kritisieren.  Er antwortete: „Sie müssen den Horatier von Heiner Müller lesen, dann wirds ihnen helle, lieber Herr Müller.“ Nun, ich wollte mich nicht länger dem Verdacht aussetzen, im Dunklen zu stehen, und ich las Heiner Müller, den Horatier.

Und von den Römern fragte die andere: Wie soll der Horatier genannt werden der Nachwelt?

Und das Volk antwortete mit einer Stimme:

Er soll genannt werden der Sieger über Alba.

Er soll genannt werden der Mörder seiner Schwester.

Mit einem Atem sein Verdienst und seine Schuld.

Und wer seine Schuld nennt und sein Verdienst nicht

nennt, der soll mit den Hunden wohnen als ein Hund.

Und wer sein Verdienst nennt und seine Schuld nicht

nennt, der soll auch mit den Hunden wohnen.

Wer aber seine Schuld nennt zu einer zeit

Und nennt sein Verdienst zu anderer zeit

Redend aus einem Mund zu unterschiedlicher Zeit anders

oder für verschiedene Ohren anders

Dem soll die Zunge ausgerissen werden.

Nämlich die Worte müssen rein bleiben.

Denn

ein Schwert kann zerbrochen werden und ein Mann

Kann auch zerbrochen werden, aber die worte

Fallen in das Getriebe der Welt uneinholbar

Kenntlich machend die Dinge oder unkenntlich.

Tödlich dem Menschen ist das Unkenntliche.

So, jetzt stehen wir alle im Licht.

Und deshalb folgt Punkt 3 kurz und in Form eines Fragesatzes:

Wo bleibt der Champagner?

Harald Müller / Theater der Zeit / Gehalten am 28. März 2025


Dankesrede Kurt-Wolff-Preis 2025

Sehr geehrte Frau Kulturstaatsministerin Claudia Roth, liebe Katharina Meyer, lieber Friedrich Dieckmann, hochverehrtes Kuratorium, liebe Autorinnen und Autoren, Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde des Buches und der Theaterkunst,

es ist eine außerordentliche Ehre für uns, heute den Hauptpreis der Kurt Wolff Stiftung entgegennehmen zu dürfen – eine überregionale und renommierte Auszeichnung, mit der wir in keinster Weise gerechnet haben.

Unser Selbstverständnis macht es vielen öffentlichen Stellen nicht leicht. Wir stehen oft zwischen den Stühlen oder passen nicht recht hinein: Sind wir nun Buchverlag, Presse oder Buchhandlung? Sind wir Kultur oder Wirtschaft? Die Sortimentsbuchhandlungen sagen uns: „Das ist Kunst und passt hier nicht rein.“ Die Kunstbuchhändler wiederum meinen: „Das ist Theater und passt hier nicht rein.“

So liefern wir mit unserer täglichen Arbeit ständig Gründe dafür, dass man uns sagt: „Nein, Ihr nicht.“ Doch letztlich sind das alles formale und strukturelle Kriterien, die uns gar nicht interessieren. Was uns interessiert, ist das Theater – und alles, was damit zusammenhängt. Denn das Theater bietet genug Stoff. Es ist Spiegel der Gesellschaft. Es geht alle an. Es ist relevant für die ganze Gesellschaft. (Umso skandalöser, dass es aktuell bundesweit von Kürzungen betroffen ist.)

Das Darstellende Spiel und das Verlegen von Büchern scheinen zunächst im Widerspruch zueinander zu stehen: Das Medium Theater ist lokal,    flüchtig im Moment,    für viele Zuschauer zugleich – eine Gemeinschaftserfahrung. Das Medium Buch hingegen ist für die Ewigkeit („Wer schreibt, der bleibt“) und wird meist individuell rezipiert. Diese Diskrepanz schreckt viele Mitbewerber ab – aber genau diese Spannung interessiert uns sehr. Wir bewahren in gewisser Weise flüchtige Gemeinschaftsmomente. Uns faszinieren die vielfältigen Ausdrucksformen des Theaters, die gesellschaftliche Konflikte und Machtverhältnisse aufdecken und hinterfragen. Uns interessiert das Ergebnis von Theater ebenso wie der Weg dorthin – die Macher:innen ebenso wie ihr Publikum.

Unser Claim lautet daher bewusst: „Das ganze Theater“. Dabei geht es um Wertschätzung, Anerkennung und Teilhabe in einer heterogenen Gesellschaft, in der jede und jeder gleichberechtigt ihren Platz findet und niemand ausgegrenzt wird. Wir fühlen uns magisch zur Nische hingezogen – selbst innerhalb des Theaters. Ressentiments gegenüber Puppenspiel, Kindertheater oder Zirkus haben bei uns keinen Platz; all diese Formen – oder kleineren Sparten finden selbstverständlich ihren Raum neben dem Schauspiel oder der Oper. Oft sind es diese Orte oder interdisziplinäre Projekte, die Innovationen hervorbringen. Wir verstehen uns als Mittler zwischen den Sparten, zwischen Publikum     und Theaterbetrieb sowie zwischen Wissenschaft und Praxis. Wir halten Ausschau nach neuen Tendenzen und aktuellen Kunstformen, ohne dabei den Blick für Geschichte und Herkunft zu verlieren. In diesem Sinne fühlen wir uns dem Namensgeber der Stiftung, Kurt Wolff, sehr verbunden, der einst sagte: „Wir müssen offen sein für das Heutige, wie wir offen bleiben sollten für das Gestrige“.

Das Kuratorium der Kurt Wolff Stiftung hat großen Mut bewiesen, indem es unser Wagnis auszeichnet – ein Wagnis nämlich, das sich jeglicher ökonomischen Logik entzieht. Unabhängiges Verlegen scheint einem ewigen Startup zu gleichen, dass ohne Exitstrategie auskommen muss. Die wichtigsten Kapitalgeber, unser Kapital! sind die vielen hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Autorinnen und Autoren, die an unsere Sache glauben und mit ihrem Einsatz „Theater der Zeit“ schaffen und ermöglichen. Unser Verlag bringt Kompetenzen aus Wissenschaft, Journalistik, Grafikdesign, Drucktechnik, Software-Programmierung und Wirtschaft zusammen – aus verschiedenen Generationen und unterschiedlichsten Herkünften –, was ihn zu einem unglaublich sozialen Ort macht. Es motiviert mich tagtäglich aufs Neue und erfüllt mich mit Dankbarkeit, dass wir mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern zusammenarbeiten dürfen, die ebenfalls davon überzeugt sind, dass Arbeitszeit einen Lebenssinn erfüllen muss. Ich kenne keinen anderen Verlag, der 20 Leute beschäftigen kann, die sich mit Theater befassen. Das ist doch unfassbar! Was wir mit dieser gelebten Utopie mittlerweile erreicht haben, erfüllt mich mit Stolz. Das können wir heute wirklich mal richtig feiern.

Der Verlag, quasi unser Kollektiv – ist ein Getriebe, das auf jedes einzelne Zahnrad angewiesen ist. Dennoch gibt es eine Person, ohne die „Theater der Zeit“ in seiner heutigen Form nicht möglich gewesen wäre: meinen langjährigen Kompagnon in der Geschäftsführung Harald Müller. Harald hat nach der Abwicklung durch die Treuhand Anfang der 90er Jahre „Theater der Zeit“ gemeinsam mit engagierten Mitstreitern neu gegründet, den Verlag durch turbulente Transformationsjahre geführt und vor fast 30 Jahren den Buchverlag ins Leben gerufen. Vor knapp 20 Jahren holte er mich in den Verlag und teilte mit mir, bis zu seinem Ruhestand mit größtem Vertrauen die Geschäftsführung.

Lieber Harald: Diesen Preis sehe ich auch als große Anerkennung deiner Lebensarbeit! Vielen herzlichen Dank dafür!

Paul Tischler / Theater der Zeit /Gehalten am 28.03.2025


Kurt Wolff Preis 2025 – Begrüßung durch die Vorsitzende der Stiftung


Herzlich willkommen, liebe Gäste, liebe Preisträger und liebe Preisträgerin, verehrter Herr Dr. Dieckmann, liebe Kuratoriumsmitglieder, Liebe Frau Kulturstaatsministerien Claudia Roth, Liebe Frau Kulturbürgermeisterin Dr. Skadi Jennicke Liebe Astrid Böhmisch,

Herzlich Willkommen zur Kurt Wolff Preisverleihung 2025.

Wie in jedem Jahr hat das Kuratorium der Stiftung im Vorfeld beraten … und hat für den diesjährigen Kurt-Wolff-Preis den Verlag Theater der Zeit designiert, und entschieden, dass der Verlag A · B ·  Fischer mit dem Kurt Wolff Förderpreis 2025 ausgezeichnet wird. Sie, lieber Herr Dr. Diekmann, werden gleich genauer darauf eingehen, was die diesjährigen Preisträger so besonders macht. Nur soviel: Beide Verlage orientieren sich in ihrem Programm NICHT am Mainstream und sind damit beispielhaft für die Bibliodiversität der deutschen Verlagslandschaft. Diese zu fördern ist, wie Sie alle wissen, das Ziel der Kurt Wolff Stiftung.

Warum tun wir das? Warum haben sich vor mehr als 2 Jahrzehnten einige kluge Verleger zusammengetan und mit Unterstützung des ersten Kulturstaatministers Michael Naumann die Kurt Wolff Stiftung ins Leben gerufen, die in diesem Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum feiert?

Nun ganz einfach, weil Verlage in einer Demokratie „systemrelevant“ sind. Und weil unsere Kollegen in ihrer Weitsicht bereits in den 1990er Jahren erkannt haben, dass die strukturellen Veränderungen in der Buchbranche, deren Folgen damals schon absehbar waren, und ein von zunehmender Technologisierung beschleunigter gesellschaftliche Wandel, die Institution einer eigenen starken Stimme für die Belange und Interessen der unabhängigen Verlage erforderten.

Die beiden Preise, die die Stiftung heute verleiht und die der prestigeträchtigste Teil unserer Stiftungsarbeit sind, sorgen ebenso wie der Katalog „Es geht um das Buch“, den die Kurt Wolff Stiftung jedes Jahr neu herausbringt – beides dank der finanziellen Unterstützung Ihres Hauses, liebe Frau Kulturstaatministerin, wofür ich an dieser Stelle sehr herzlich danken möchte – der Preis und der Katalog sorgen dafür, dass die Arbeit von unabhängigen Verlagen, das Engagement ihrer Verleger*innen abseits des Mainstreams und für eine vielfältige Buchlandschaft sichtbar und wertgeschätzt wird.

Was meine ich, wenn ich Verlage als „systemrelevant“ bezeichne?

Nun, Verlegerinnen und Verleger sind Unternehmerinnen und Unternehmer. Oberflächlich betrachtet produzieren sie Bücher. Aber tatsächlich verbreiten sie Inhalte, Geschichten, Ideen, die Leserinnen und Leser anregen und bilden, die Diskurse und gesellschaftliche Debatten begleiten oder anstoßen oder einfach nur für Unterhaltung und Entspannung sorgen.

Verlegerinnen und Verleger sind aufmerksame (auch kritische) Beobachter der Gesellschaft, in der sie leben und für die sie ihre Programme entwickeln. Wir sind Vermittler, Kommunikatoren. Dass insbesondere die konzernunabhängigen Verlegerinnen und Verleger große wirtschaftliche Risiken auf sich nehmen, um unbekannten Autor*innen eine Stimme zu geben, um öffentliche Auseinandersetzungen in dieser Gesellschaft mit Buchtiteln zu begleiten oder gar Diskussionen anzustoßen (Stichwort „Meinungsfreiheit“ & „Freiheit des Wortes“), hat mit dem Selbstverständnis und dem ethischen Anspruch zu tun, der verlegerischer Arbeit generell zugrunde liegt. Ich könnte Ihnen hier eine lange Liste von Themen aufzählen, die in den letzten Jahrzehnten maßgeblich durch Buchveröffentlichungen in die öffentliche Debatte gelangt sind. Und oft waren es kleinere und unabhängige Verlage, die den Mut hatten, diese Buchtitel zu veröffentlichen.

Wir Verlegerinnen und Verleger fragen uns, warum deutschsprachige Leserinnen und Leser dieses eine Buch lesen sollten, ja müssen. Ist ein Manuskript inhaltlich und sprachlich gelungen und so relevant, dass seine Veröffentlichung die Leserinnen und Leser und damit auch diese Gesellschaft voran bringt? Diese Fragen stellen wir uns nicht nur bei anspruchsvollen oder gar unbequemen, sondern ebenso bei unterhaltsamen Texten. Und natürlich gehört zur Abwägung auch, welches Risiko für den Verlag entsteht, falls es nicht gelingt, die Leserinnen und Leser zu erreichen.

Nun hat die Sichtbarkeit der unabhängigen Verlagsprogramme im Zuge des strukturellen Wandels in der Buchbranche in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich abgenommen. Weil ihre finanziellen Kapazitäten naturgemäß begrenzt und die Personaldecke dünn ist, kämpfen v.a. viele unabhängige Verlage um ihre Existenz. Das hat bereits und wird noch mehr Auswirkungen auf die Bibliodiversität und das Klima in unserer sich zunehmend polarisierenden Gesellschaft haben.

Systemrelevant sind Buchverlage aber auch, weil sie an der Schnittstelle der Kreativwirtschaft agieren und mit ihren Aufträgen eine Existenzgrundlage für eine sehr große Zahl von Freiberuflern in Deutschland schaffen.

Um die komplexe Vielschichtigkeit von Verlagsarbeit für Außenstehende transparenter zu machen, hat die Kurt Wolff Stiftung anlässlich dieser Leipziger Buchmesse das Plakat „Was macht ein Verlag“ entwickelt. Golden Cosmos hat unsere inhaltlichen Ideen ebenso genial ins Bild umgesetzt wie schon den Vorläufer „Wer bekommt was vom Buch“, den wir im Jahr 2023 herausgebracht haben. Bitte machen Sie von beiden Plakaten Gebrauch, nehmen Sie sie hier am Stand mit, sprechen Sie darüber und machen Sie Ihre Freunde und Ihr Umfeld darauf aufmerksam „Was macht ein Verlag“. Auch diese Initiative konnten wir dank der finanziellen Unterstützung des Kulturstaatsministeriums realisieren.

Und nun muss ich natürlich noch auf den zweiten Fokus der Stiftungsarbeit zu sprechen kommen: die politische Arbeit, d.h. die Vertretung der Interessen unabhängiger Verlage gegenüber der Politik.

Literatur und das Lesen sind Teil von Kultur. Kultur ist die Basis des menschlichen Zusammenlebens, Kitt und Motor einer Gesellschaft. In einer Demokratie wie Deutschland ist die Kultur gekennzeichnet durch Offenheit, Toleranz, Respekt und Vielfalt. Und wenn – wie wir es gerade auf unterschiedlichste Weise beobachten können und erleben – demokratische Werte wie Vielfalt, Meinungsfreiheit und das freie Wort bedroht sind, von innen ebenso wie von außen, gilt es die Kultur in Bildung und täglichem Zusammenleben um so mehr wertzuschätzen und zu fördern.

Ausgehend davon setzt sich die Kurt Wolf Stiftung – wie Sie alle wissen – seit einiger Zeit für die Implementierung einer strukturellen Verlagsförderung ein. Sie zu prüfen hatte die scheidende Regierung vor vier Jahren im Koalitionsvertrag vereinbart. Hélas, die strukturelle Verlagsförderung ist zweimal an den Haushaltverhandlungen gescheitert. Abgesehen von den regierungsinternen Diskussionen ist sie auch und nicht zuletzt daran gescheitert, dass man noch nicht in allen Bundesländern dieser Republik verstanden hat, wie sehr die Buchbranche und speziell die unabhängigen Verlage mit ihren innovativen, vielseitigen Programmen zu unserer offenen und vielstimmigen Demokratie beitragen.

Aber wir haben im Vorstand der Kurt Wolff Stiftung in den letzten vier Jahren registriert, dass die Zahl der Befürworter einer strukturellen Verlagsförderung in der Politik zunimmt. Bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse vor 5 Monaten war beeindruckend, wer sich alles zur Vielfalt in der Buchbranche und zur Freiheit des Wortes bekannt hat.

Vielleicht erleben wir jetzt, unter dem zunehmenden Druck auf unsere Demokratie, den Moment eines echten Aufbruchs hin zu einer verlagsstärkenden Bildungs- und Kulturpolitik. Damit aus dem verstaubten und v.a. bei offiziellen Anlässen bemühten Klischee der „Kulturnation Deutschland“ endlich ein lebendiges kulturelles Selbstverständnis entstehen kann.

Da Beharrlichkeit eine der Kernkompetenzen von Verlegerinnen und Verlegern ist, werden wir jedenfalls nicht locker lassen.

Ich nutze also die Gelegenheit und rufe den Parteimitgliedern von CDU/CSU und SPD, die aktuell in Berlin über eine Regierungskoalition verhandeln, einen „freundlichen Gruß von der Kurt Wolff Preisverleihung auf der Leipziger Buchmesse“ zu. Und ich appelliere an Sie:

Setzen Sie unsere Forderung nach einer strukturellen Verlagsförderung auf die Agenda der neuen Regierung! Die Studien und Konzeptpapiere dazu liegen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Referaten der BKM. Aber wir sind auch weiterhin bereit, alle Ihre Fragen zu unserer Branche zu beantworten.

Und en passant: wir halten auch die Fortsetzung des Kulturpasses für ein – gemessen an anderen, bereits beschlossenen Budgets – sehr erschwingliches und extrem wirksames Mittel der Demokratiestärkung.

Nur bitte handeln Sie rasch.

Die Bibliodiversität der Buchbranche leistet hier im Land einen grundlegenden Beitrag zu unserer offenen, diversen und demokratischen Gesellschaft. Unsere Branche lebt davon, dass die kleinen, risikofreudigen, neugierigen Unternehmen neue, noch unbekannte Autoren und andere Perspektiven und Meinungen veröffentlichen, und dass große Verlage diese Impulse der kleinen Unternehmen aufgreifen, sobald sie Mainstreamtauglich sind und auf diese Weise für Dynamik in der Leserschaft sorgen. Gemeinsam sorgen wir mit unserer Arbeit für nachhaltige Demokratiebildung und -stärkung. Die gesellschaftliche Akzeptanz demokratischer Werte und Strukturen ist die Voraussetzung dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland im Verbund mit den in Europa noch vorhandenen Demokratien ihre Verantwortung nach innen und außen wahrnehmen kann.

Wenn unabhängige Verlage ihre Arbeit jedoch einstellen müssen,

  • Verlieren die Leserinnen und Leser im gesamten Bundesgebiet ein vielfältiges Angebot von Büchern mit unterschiedlichen Inhalten, die die offene, vielstimmige Gesellschaft bereichern und nachhaltig zu Demokratiebildung und -stärkung beitragen.
  • Verliert der „Organismus“ Buchbranche den Input der unabhängigen Verlage, die mit ihrem Mut zum Risiko, ihrer Flexibilität und ihrer Neugier neue literarische und gesellschaftliche Impulse in der Kulturlandschaft Deutschlands setzen. Denn zur Vielfalt der Genres, dem „besonderen Buch“, für die Bibliodiversität leisten unabhängige Verlage einen unverzichtbaren Beitrag.
  • Verlieren Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzer, Illustratorinnen und Illustratoren, Designerinnen und Designer, Druckereien, Buchbindereien – kurz: weite Teile der Kreativwirtschaft in der Bundesrepublik eine nicht unerhebliche Zahl an Aufträgen und damit ihre Existenzgrundlage.

Zum Schluss möchte ich Ihnen, liebe Frau Kulturstaatsministerin Roth und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses, herzlich danken für die Unterstützung unserer Arbeit. Ebenso danke ich allen anderen, die durch ihre Spenden die Arbeit der Kurt Wolff Stiftung unterstützen.

Karsten Dehler bin ich, sind wir – sowohl das Kuratorium als auch der Vorstand – für seinen unermüdlichen, weitsichtigen und verlässlichen Einsatz in der Geschäftsstelle dankbar. Karsten, ohne Dich liefe hier gar nichts und das kann gar nicht oft genug betont werden: MERCI!

Ich danke Carolin Callies, die auch in diesem Jahr wieder ein tolles, vielseitiges, ebenso anspruchsvolles wie unterhaltsames Veranstaltungsprogramm kuratiert hat, an dem – und dafür sei SWIPS, ARGE und den beteiligten Verlagen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gedankt – wieder zahlreiche Autor*innen und Verleger*innen mit ihren Beiträgen mitwirken. Und ich danke taz und Freitag für die nun schon „traditionelle“, weil langjährige Medienpartnerschaft.

Ja, und was ja auch schon lange Tradition ist: Auch dieses Jahr laden wir im Anschluss an die Preisverleihung zum Empfang – dafür, dass es uns dabei gut geht, sorgt Konsum Leipzig: Herzlichen Dank!

Der Leipziger Kafferösterei „Elstermühle“ danke ich für den „legendären“, weil hervorragenden Espresso an unserer Bar. „quadratisch praktisch gut“ – wer kennt diesen Slogan nicht: Ritter Sport versüßt uns auch in diesem Jahr die Messetage mit wunderbarer, nervenstärkender Schokolade, Merci dafür! Und was wäre der Ausschank an der Bar ohne die auf der Buchmesse stets vergnügten und zum Gespräch aufgelegten Verlegerinnen und Verleger: Herzlichen Dank!

Unseren diesjährigen Preisträgern danke ich für ihr verlegerisches Engagement, für die Beharrlichkeit und den Mut, den ihr tagtäglich beweist.

Und Ihnen allen danke ich dafür, dass Sie durch Ihre Anwesenheit das verlegerische Tun unserer diesjährigen Preisträger würdigen.

Katharina E. Meyer, Gehalten am 28. März 2025

Es gilt das gesprochene Wort.


Ruhm den Kleinen!

Friedrich Dieckmann

RUHM DEN KLEINEN!

Über zwei preiswürdige VerlageLaudatio zur Verleihung des Kurt-Wolff-Preises am 28. März 2025 auf der Leipziger Buchmesse.

Was wäre die deutsche Literatur ohne die kleinen, wagemutigen Verlage, die so viele Erstdrucke nachmals berühmter Werke in die Welt gesetzt haben, häufig anonym, um sich selbst und den Autor nicht zu gefährden, manchmal mit imaginierten Namen und Druckorten? In der Weygandschen Buchhandlung erschien 1774 der Erstdruck von „Werthers Leiden“, und der Verleger hatte nichts davon, als sich, von Rechtsverhältnissen unbehelligt, die Nachdrucker zuhauf auf den exzeptionellen Text stürzten. Wer kennt noch die Eichenbergischen Erben, bei denen im gleichen Jahr die zweite Auflage des „Götz von Berlichingen“ erschien; der Erstdruck hatte nicht nur den Verlag, sondern auch den Autor verschwiegen. Novalis‘ Schriften kamen 1802 in der Berliner „Buchhandlung der Realschule“ heraus, und 1835 verlegte J. D. Sauerländer Büchners „Dantons Tod“ in so wenigen Exemplaren, daß eines davon heute 4500 € kostet. Aber das Stück war in der Welt, keine Erbin konnte es mehr verbrennen. Was wäre aus Nietzsche geworden, wenn nicht der Leipziger Kleinverleger Fritzsch Geld und Mut an den exzentrischen Weltbetrachter gesetzt hätte? So könnten wir fortfahren und würden begreifen, daß bis heute die Entdeckerlust und Risikobereitschaft kleiner, auf der Initiative wagemutiger Literaturfreunde beruhender Verlage ein Netz über Deutschland spannen, ohne dessen stille Tragfähigkeit das, was wir Literaturgesellschaft und literarisches Leben nennen, längst zusammengebrochen wäre.

    Die Preisträger der Kurt-Wolff-Stiftung, die wir aus Achtung vor der Amtlichen Deutschen Rechtschreibung unbedingt mit zwei Bindestrichen schreiben wollen, zeigen uns einen wichtigen Ausschnitt aus der Vielzahl heute tätiger Unternehmen, die zumeist auf einem hohen Grad von Selbstausbeutung ihrer Inhaber und Mitarbeiter beruhen. Zwei neue Namen finden sich vom heutigen Tag an auf dem Ruhmesblatt einer Stiftung, deren Bedeutung wir nicht hoch genug schätzen können (ich vermeide das tautologische Modewort wertschätzen); neben vielen andern Aktivitäten richtet sie den Blick der Öffentlichkeit auf die Existenz dieses unersetzlichen Elements unseres vielfach bedrohten Kulturlebens. Wir müssen diese Bedrohung an dieser Stelle nicht näher ausführen; der „Kulturschwund der unheimlichsten Art“, den Thomas Mann am Ende seiner Schillerrede von 1955 diagnostizierte, droht uns heute durch die Entwertung des Buches vermöge des Vordringens elektronischer Medien, die wie eine vielköpfige Krake jahrhundertealte Formen und Elemente geistig-künstlerischen Lebens aufzusaugen am Werk sind, eine Entsinnlichung und Entindividualisierung des Lesens befördernd, die auf einen homo novus als Manipulationsobjekt algorithmischer Despotien zielt. Sich dem entgegenzustemmen ist eine Aufgabe, die von all denen, die auf eigene Faust und Rechnung schöne und wertvolle Bücher in die Welt senden, in besonderem Maß angenommen wird, mit jener Nachhaltigkeit, die sich an das Buch als den eigenartig-schönen, handlich-vielseitigen Gegenstand heftet, der, wenn es gut geht (und das tut es hier häufiger als andernorts), von Einband und Vorsatzpapier über Schriftgestalt, Satzspiegel und Durchschuß bis zu jener Fadenheftung geht, die die Leselust vollkommen macht. Die Verlage, die wir heute ins Auge fassen, wissen um die Bedeutung aller dieser Elemente.

    Mit den Verlagen sind die Verleger preiswürdig, die sich uns in einer je eigenen Doppelgestalt präsentieren: Doppelgestalt eines Ehepaars im einen Fall und Doppelgestalt zweier Generationen, des Gründers und seines Nachfolgers, im andern. Wie wird man Verleger? Im Fall von Angelika und Bernd Erhard Fischer ist das schnell aufgeklärt: durch das Versagen eines bestehenden Verlags, der ein aufgrund mündlicher Zusagen ins Werk gesetztes Buchvorhaben im letzten Moment absagte. Es sollte in Bild und Text Dichter in ihren Wohnhäusern porträtieren, ein naheliegendes, aber noch nie umfassend in Angriff genommenes Projekt. Angelika Fischer als Fotografin und ihr Mann als Autor hatten sich lebhaft ins Zeug gelegt; sie hatten das Brecht-Haus in Buckow, das Hauptmann-Haus auf Hiddensee und das Ehm-Welk-Haus in Bad Doberan ins Visier genommen und gedachten nicht, es damit genug sein zu lassen: Thomas Mann in Nidden, Hans Fallada in Carwitz, Anna Seghers in Berlin-Adlershof, Karl May in Radebeul und Ernst Jünger in Wilflingen sollten dazu kommen. Frau Fischer hatte viele Jahre als Werbe- und Industriefotografin gearbeitet, während ihr Mann als Buchgestalter tätig gewesen war; die neue Aufgabe war ihnen eine Herzensangelegenheit, auch weil sie ihre Interessen und Fähigkeiten dabei vereinigen konnten.

    Begonnen hatte dies romantisch genug nach der Öffnung der Berliner Grenze mit der Entdeckung eines verfallenen Schlosses an einem Ort, von dem sie niemals gehört hatten; es fand sich in Blankensee östlich der Beelitzer Heilstätten und war der Landsitz des um das Jahr 1900 berühmten Dramatikers und Erzählers Hermann Sudermann gewesen, dessen monumentale Büste die beiden Ausflügler inmitten von Säulenstümpfen und geborstenen Balustern in einem Winkel fanden. Sudermann, ein Generationsgenosse Gerhart Hauptmanns und wie dieser ein Kritiker der gesellschaftlichen Realität der äußerlich so glanzvollen Kaiserzeit, ist heute verschollen, aber nicht nur das zerstörte Schl0ß, sondern auch seine mit den originalen Möbeln erhaltene Grunewald-Villa entdeckten die beiden Spurensucher und beschrieben das erstere in einem Buch des arani-Verlags als ein „Loch in der Zeit“, das sich ihnen unversehens geöffnet hatte.

    Mit derselben Haltung engagierter Neugier hatten sie danach jene andern Dichterhäuser betreten, und als der Verlag Köhler & Amelang ihnen das fast schon fertige Buch kündigte, war die Gründung des eigenen Verlags der Sprung aus der verweigerten Notwendigkeit in die Freiheit zum Risiko. Ihr Verlag konnte nur Fischer heißen, mit den Initialen A und B und zwei farbig gehöhten Punkten dazwischen, und auch das Signet lag auf der Hand: ein zierlicher Fisch mal senkrecht auf den Rücktiteln und mal waagerecht auf den Prospekten; jede Verwechslung mit einem andern Fischerverlag war ausgeschlossen. In einem meisterhaft gestalteten Buch zum zwanzigjährigen Verlagsjubiläum im Jahre 2023 hat Bernd Fischer von den mannigfachen Hemmnissen berichtet, die sich dem Vorhaben entgegenstellten, den Besuchern jener Dichterhäuser in erlesen gedruckten Heften auf 32 Seiten eine Vorstellung vom Leben der Poeten an den jeweiligen Orten zu geben. Bernd Fischer war, auch sich selbst, als Autor gänzlich unbekannt, ein Laie maßte sich an, das Leben Brechts in Buckow, Jüngers in Wilflingen, Arno Schmidts in der Heide zu beschreiben – das wurde in diesen Häusern, die oft noch im Besitz der jeweiligen Familien waren, mit Skepsis, ja Mißtrauen betrachtet, und es dauerte manchmal eine gehörige Weile, bis das Eis gebrochen war und die Hüter der Häuser erkannten, daß mit diesen Heften eine Lücke gefüllt war, die sie selbst, von Nähe geblendet, nicht hatten füllen können. Es hatte des unbefangenen Blicks zweier Außenstehender zu einer Darstellung bedurft, die, außer aus erworbenen Kenntnissen, aus innerer Bezüglichkeit kam und jede Faltblatt-Didaktik vermied.

    In dem Maß, wie diese Hefte mit den brillanten Schwarz-Weiß-Aufnahmen und den instruktiven Texten bei den Hütern wie den Besuchern dieser Wohnstätten der Dichtung einschlugen, wuchs der Ehrgeiz der beiden Jungverleger: Nicht nur Hefte, auch Bücher wollten sie herausbringen. Mit einem Netz von Lektoren, einem perfekten Druckhaus, einem kompetenten Vertrieb und immer neuen Reisen des Verlegers zu Buchhandlungen und Buchmärkten gelang auch dies. Literaturbezogene Stadtporträts knüpften thematisch an die immer länger werdende Heftreihe an; sie nannten sich literarische Zeitreisen und führten nach Venedig, Zürich und St. Petersburg. Man sehe nur diesen Venedig-Band mit den aufwendig gedruckten Aufnahmen der Ko-Verlegerin und den akribischen Autorenerkundungen des dem Verlag eng verbundenen Jürgen Hultenreich; sie reichen von Aretino bis zu Josef Brodsky und lassen zwischen ihnen keinen wichtigen Venedig-Bewohner der Weltkultur aus! Schmalere Bände erschlossen die Herkunfts- oder Wohnlandschaften einzelner Autoren: Rilkes in dem Teufelsmoor bei Worpswede, Hilbigs im Meuselwitzer Braunkohlenrevier oder des Fürsten von Lampedusa auf Sizilien.

    Längst hatten die Fischzüge der beiden Verleger die Grenzen des deutschen Sprachraums überstiegen, und mit Hilfe eines englischen Autors war bei den Heften „Virginia Woolf in Rodhill“ ein besonderes Glanzstück geworden. Auch das Buchprogramm griff über den deutschen Sprachraum hinaus; zu den Erzählungen der Berliner Autorin Roswitha Schieb kamen Wiederentdeckungen im Bereich der skandinavischen Literatur; Bernd Fischer selbst faßte das Vietnam von heute ins Auge. Dazu ein Schillerroman von Jürgen Hultenreich, eine Eckermann-Erkundung von Bernd Dietzel – aus den Heften mit dem umklebten Etikett ist im Lauf der Jahre ein staunenswert umfangreiches Programm geworden, dessen Initiatoren, Organisatoren und Urheber aus einem kleinen Haus in Lichterfelde den Horizont ihrer Leser nach vielen Himmelsrichtungen erweitern.

Auf andere Weise tut dies ein Verlag, der seinerseits notgeboren war und aus kleinen, wie improvisatorischen Anfängen über einen Zeitraum von fast dreißig Jahren zu der Dimension aufwuchs, in der er sich heute darstellt. Am Anfang stand auch hier eine Heftreihe, in Gestalt einer Zeitschrift, die 1946 in einem Berliner Theater-Verlag ans Licht trat. Sein Gründer, der mit der alten Volksbühnenbewegung verbundene Bruno Henschel, eignete ihn sechs Jahre später der Partei zu, der er angehörte, der Haupt- und Staatspartei eines Landes, dessen Verlagspolitik darauf gerichtet war, thematische Schwerpunkte verlegerisch zu konzentrieren, ja zu monopolisieren, ein Verfahren, das die Profitabilität dieser Verlage nachhaltig sicherte. So gedieh der Henschelverlag mit angeschlossenem Bühnenvertrieb und mehreren Zeitschriften zum einzigen Theaterverlag des Landes.

    Mit dem Umbruch der ökonomischen Rahmenbedingungen wurde seine Zeitschrift Theater der Zeit nach 1990 in eine Krise gestürzt, die durch eine grundlegende Neugestaltung nur vorübergehend aufgehalten wurde. Bis zum Januar 1992 konnte eine Redaktion, an deren Spitze die Belegschaft den hochbewährten Martin Linzer wählte, ihre Arbeit fortsetzen; dann waren alle Hilfsquellen versiegt, das Ende der Zeitschrift schien unabwendbar. Ich war ihr seit dem Jahr 1964 in freier Mitarbeit als Opern- und Theaterkritiker verbunden gewesen und hatte im Lauf eines Vierteljahrhunderts die verschiedensten Chefredakteure, förderliche und unförderliche, mutige und unmutige erlebt, zugleich unter Redakteuren und Redakteurinnen freundschaftlich verbundene Kollegen gefunden. Sie hatten nach dem Sturz der parteihörigen Leitung großartige Hefte herausgebracht – und damit sollte es auf einmal vorbei sein? Ein Retter stellte sich ein, er hieß Harald Müller und hatte eigentlich einen Literaturverlag gründen wollen. Das jähe Verschwinden von Theater der Zeit ließ ihn umdenken, der sanguinische Tatmensch sann auf eine Neu- und Wiedergründung unter dem alten Namen und mit einem einzigen materiellen Rückhalt: der Abonnentenkartei; den Titel der Zeitschrift hatte er der Treuhand genannten Anstalt für einen Betrag, den er sich hatte leihen müssen, abkaufen können. Die rechtliche Basis gab eine Interessengemeinschaft Theater der Zeit als Trägerin einer Gründung, deren Geschäftsführer Harald Müller und deren Herausgeber Martin Linzer hieß, mit einem Beirat, der aus dem im Westen verwurzelten und durch Interviews mit Heiner Müller bekannt gewordenen Frank A. Raddatz und mir bestand, der ich seit 1990 von Bucharbeiten zu einer vielseitigen publizistischen Tätigkeit übergegangen war.

    Ich sehe uns noch Ende 1993 in meiner Treptower Wohnung über die Probebogen des von dem Buch- und Werbegraphiker Rudolf Grüttner in verkleinertem Format und strengem Schwarz-Weiß gehaltene erste Heft der Neuedition gebeugt, die als Zweimonatsschrift von 96 Seiten zum Preis von 12 DM startete, mit Texten unter anderen von Peter Brook, Heiner Müller und Frank Hörnigk, Literaturprofessor an der Humboldt-Universität und seinerseits ein Geburtshelfer der Neugründung. Den Rücktitel des Heftes zierte zur Gänze eine Werbeanzeige des Theaters Oberhausen. Nicht nur die Theater des östlichen Deutschlands waren an der Fortexistenz einer Zeitschrift interessiert, die eine Alternative zu „Theater heute“ bildete, der auf der Grundlage einer finanzstarken Stiftung im westlichen Berlin herausgegebenen Monatsschrift, die in Westdeutschland fast eine Monopolstellung innehatte.

    Es war ein langer, an Wandlungen und Standorten reicher Weg von diesen ersten Heften einer versuchten Wiedergeburt zu dem heutigen Erscheinungsbild einer achtzig Seiten starken, auf Hochglanzpapier gedruckten Zeitschrift mit zahlreichen farbigen Abbildungen; mit 10,50 € kann sie für überaus preiswert gelten. Im zweiten Jahr der Neugründung interessierte sich ein westdeutscher Verlag für die Trägerschaft des finanziell ganz ungesicherten Unternehmens und ließ bald wieder davon ab; durch die von Harald Müller rastlos ins Werk gesetzte Schaltung kleiner und großer Spielplananzeigen unterstützten die deutschen Theater in Ost und West die Existenz der Zeitschrift. Der Übergang zum monatlichen Erscheinen war im Januar 2000 ein Zeichen wachsender Stabilisierung; als besonders erfolgreich erwies sich die Herausgabe von Doppelheften, mit denen die Redaktion, die längst eine gesamtdeutsche war, mit Herkünften aus allen Himmelsrichtungen des disparat vereinigten Vaterlandes, für ihre Abonnenten die Sommerpause überbrückte.

    Das erste dieser Arbeitsbücher erschien im Sommer 1996 und trug den gedichtentnommenen Namen „Kalkfell“; es war ein stimmenreicher Nachruf auf den im Januar dieses Jahres verstorbenen Heiner Müller, dessen Begräbnis zu einem nicht enden wollenden Trauerzug vom Berliner Ensemble zum Dorotheenstädtischen Friedhof geführt hatte. Ein Theaterland trauerte um einen Dichter, der sich, von einer denunziantisch gefütterten Presse behelligt, in der mit drei andern geteilten Direktion des Berliner Ensembles aufgerieben hatte. Das von einem achtköpfigen Herausgeberteam betreute Heft war ein Meisterwerk, das den Leser auch heute noch in seinen Bann zieht; auf vielen Wegen brachte es einen Theatermann in Sicht, dessen radikale Skepsis betreffs der Zukunftsaussichten der sich so siegesgewiß gebenden transatlantischen Zivilisation sich seither realdramatisch bestätigt hat. Was den Apologeten eines schrankenlosen Kapitalismus damals als „Ende der Geschichte“ erschien, hat sich im neuen Jahrhundert, das mit einem islamistischen Großangriff auf die Zitadelle der Neuen Welt begann, als ein ideologisches Wunschgebilde wie der vorauseilende Sozialismus herausgestellt, der nur die schwächere Variante einer von Grund auf verfehlten Wirtschaftsweise war. Sie katastrophenfrei zu revidieren wäre die Aufgabe, der ein neues Theater, eine neue Kultur vorzuarbeiten hätte, aber es handelt sich um eine Menschheitsaufgabe, und die Menschheit ist ein nach Lebens- und Bewußtseinslagen allzu differentes Plurale tantum, um handlungsfähig zu ein. Auch Heiner Müller wußte keinen Rat außer dem Versuch, das Selbstbewußtsein der Akteure zu erschüttern; die aber gingen ohnehin nicht gern ins Theater.

     Die große Nachfrage, die „Kalkfell“ auslöste, war der starting point dessen, was sich seither als Buchverlag Theater der Zeit darstellt. Den sommerlichen Arbeitsbüchern gesellte sich 1998 eine broschierte Buchreihe namens Recherchen, die es bis heute auf 174 Bände gebracht hat, das sind im Mittel sieben pro Jahr. An ihrem Anfang standen Analysen und Kommentare zu Brechts Lehrstück „Die Maßnahme“, das 1930 das tödliche Inbild kommunistischer Parteigebundenheit offengelegt hatte; Nummer 2 lenkte den Blick auf das Theater der zu Ende gehenden neunziger Jahre; Nummer 3, herausgegeben von dem Berliner Dramaturgen Maik Hamburger, versammelte ausgewählte Texte von Adolf Dresen, dem eminenten Regisseur, der bis 1977 am Deutschen Theater gearbeitet hatte, um dann sein Glück und Unglück in Wien und Frankfurt am Main zu suchen: „Wieviel Freiheit braucht die Kunst?“ lautete der vielversprechende Titel. Nummer 10, eine Gemeinschaftsproduktion mit dem Literaturforum im Brecht-Haus, war „Die Freiheit ein Augenblick“ überschrieben und enthielt Texte von mir „aus drei Jahrzehnten“. Damals wie heute findet hier auf hohem Niveau nahezu alles Raum, was Theaterleute – Produzenten und Zuschauer – wissen wollen, und blickt man auf jüngst erschienene Bände, so stößt man auf die von Heiner Goebbels ergründete „Ästhetik der Abwesenheit“ und die Rahmenbedingungen des deutschen Kindermusiktheaters, auf Tragelehns „Roter Stern in den Wolken“, „Die Sorge um das Offene“ von Julius Heinicke und vieles andere mehr.

    Bis weit in das neue Jahrhundert wurde der Verlag, ein Unikum im deutschen Buchwesen, von der genannten Interessengemeinschaft herausgegeben. Das änderte sich 2011, als der Verein, auch aus steuerlichen Gründen, ihre Rechte an den langjährigen Geschäftsführer Harald Müller als neuen Verlagseigentümer übertrug. Innerhalb von 15 Jahren hatte sich über jene Recherchen hinaus eine Buchproduktion entwickelt, bei der dem Geschäftsführer ein ihm auch familiär verbundener junger Mann zur Seite stand, der, 1981 geboren, als Student geistes- und kunstwissenschaftliche Interessen mit dem Erwerb wirtschaftlicher Kenntnisse verband, individueller Vorgriff auf ein Fach, das später als Kulturmanagement eigenständig wurde. Während Paul Tischler, so hieß der begabte Novize, sich immer mehr in operative Aufgaben des Verlags einarbeitete, übernahm der Verleger eines Tages die Chefredaktion der Zeitschrift, sich einer Doppelbeanspruchung aussetzend, die glücklicherweise nicht lange anhielt. Unterdes gedieh der Verlag durch die Etablierung weiterer Buchreihen, die vielfältige Bedürfnisse befriedigten und dies bis heute tun. Backstage nennt sich eine Reihe, in der Protagonisten des deutschen Theaters sich in Gesprächen und Interviews darstellen: Armin Petras oder Charly Hübner, Vera Tscheplanowa oder Burghart Klaußner. Unter der Rubrik Wendungen findet man geistsprühende Bücher, in denen Essayisten wie Bernd Stegemann, Frank A. Raddatz oder Wolfgang Engler kritische Blicke auf Kunst und Gesellschaft werfen; eine Reihe, die gut französisch Scène heißt, publiziert fortlaufend neue französische Theaterstücke. Damit andere Länder nicht zu kurz kommen, gibt es unter dem Reihentitel Dialog Theaterstücke aus Brasilien und Kuba und vieles andere zu lesen. Von besonderer Bedeutung sind die nobel gedruckten Lektionen, eine Reihe von Orientierungsbüchern nicht zuletzt für Studenten aller aufs Theater bezogenen Fächer, sei es Kostümbild, Schauspielen, Theaterpädagogik, Regie oder Dramaturgie. Dem Begriff des Lehrbuchs haftet nach Form und Inhalt leicht etwas Trockenes an – nicht hier, wo etwa zum Thema Dramaturgie Bernd Stegemann, der auch als Gesellschaftsanalytiker bekannte Autor, die Epochen des europäischen Theaters seit der Antike in exemplarischen Texten vorstellt. Wollen Sie wissen, wie Stegemann diese Epochen definiert? Es würde zu weit führen, Sie müssen dieses wunderbar gedruckte Buch schon erwerben!

    Außer der Reihe, aber gewissermaßen eine eigene Reihe bildend stehen die großen Bild-Text-Bände, entstanden in Kooperation mit deutschen und außerdeutschen Bühnen, die sich Erfahrung und Perfektion der Verlagsmitarbeiter in Lektorat, Gestaltung und Herstellung für die Dokumentation ihrer Arbeit zunutze machen. Theater ist die intensivste, aber auch die flüchtigste aller Kunstformen; sie bedarf der Haltekräfte des Buches, um sich den Zeitgenossen dauerhaft einzuprägen und die Nachwelt zu erreichen.  Diese Bände geben Auskunft über die Arbeit bestimmter Ensembles und Intendanten, aber auch ganzer Theater wie der Passionsfestspiele von Oberammergau, der Burgfestspiele Jagsthausen oder des Dresdner Schauspielhauses, das sein 100jähriges Jubiläum mit einem monumentalen Band feierte. Das Schauspielhaus Zürich, das kürzlich mit einem graphisch offensiven Spielzeitband auf sich aufmerksam machte, und das Chemnitzer Schauspiel, die Hamburger Kampnagelfabrik und das Hamburger Thalia-Theater – sie alle und noch manch andere vertrauen ihre Arbeitsberichte dem Verlag Theater der Zeit an, dessen alter, bald achtzig Jahre umfassender Name seinen Gegenwartsbezug markanter denn je einlöst.

    Ich muß vor diesem Publikum aus Kennern und Fachleuten nicht ausführen, welch hohes Maß an Koordination und Organisation, finanzieller Versiertheit und intellektuellem Überblick alles dies erfordert. In der Person Paul Tischlers hat seit kurzem die junge Generation, inzwischen in die Jahre gekommen, die Gesamtleitung eines Unternehmens in ihre Hände genommen, und der Kurt Wolff Preis ist wie das i-Tüpfelchen auf dieser Wachablösung; er würdigt ein Teamwork, das nun in eine neue Epoche eintritt. Zwei Verlagen gilt es zu diesem Preis zu gratulieren und ich bin sicher, daß Sie alle in die guten Wünsche einstimmen, die deren künftige, durch eine hilfreiche Summe gestärkte Arbeit begleiten. „Ad multos annos“ sei Angelika und Bernd Fischer, Harald Müller und Paul Tischler und allen ihren Mitarbeitern aus solennem Anlaß zugerufen!



Grußwort von Kulturstaatsministerin Claudia Roth

Grußwort von Kulturstaatsministerin Claudia Roth anlässlich der Verleihung des Kurt Wolff Preises auf der Leipziger Buchmesse am 28. März 2025

Kurt Wolff war nicht nur Verleger, er war ein Visionär, einer, der mit mutigen verlegerischen Entscheidungen Einfluss nahm auf die deutsche Literatur. Über seine Motivation, den Beruf des Verlegers zu ergreifen, schrieb er, ihn habe der der Wille angetrieben, „für das, was ich liebte, was mir wichtig, heutig, echt schien, zu wirken mit dem Ungestüm meiner Überzeugungen, den Kampf aufzunehmen gegen den Moloch Dummheit und Publikum.

Auch wenn ich mir diese Skepsis gegenüber einem breiten Publikum so sicher nicht zu eigen machen würde, möchte ich doch unterstreichen: Gut, dass es auch heute noch Menschen wie Kurt Wolff gibt. Menschen, die mit Leidenschaft Verleger und Verlegerinnen sind, die es wagen, Neues zu schaffen, auch einmal aus dem Mainstream auszubrechen, die ihre eigenen Wege gehen. Verlegerinnen und Verleger, die so für die Vielfalt literarischer und fachlicher Stimmen sorgen, die Debatten anregen – und damit unsere Demokratie – bereichern.

Viele dieser besonderen Menschen sind heute hier. Und ich möchte die Gelegenheit nutzen, Ihnen dafür Danke zu sagen. Danke für Ihren Einsatz und Ihren Mut, danke für einzigartige Bücher in einer Vielfalt, von der wir alle so profitieren. Der Kurt-Wolff-Preis zeichnet die Preisträger:innen für genau diese Leistung aus und deshalb ist er ein so wichtiger Preis.

Nicht weniger wichtig ist die Kurt-Wolff-Stiftung, die hinter diesem Preis steht. Vor 25 Jahren, als Manfred Metzner und mein Vorgänger, Michael Naumann, sie andachten, war die Situation für die unabhängigen Verlage nicht gerade rosig und die weitere Entwicklung sah nicht unbedingt besser aus: Da waren kostenintensive Anpassungen an die zunehmende Digitalisierung, Rückforderungen der VG Wort infolge eines BGH-Urteils oder eine Grossisten-Insolvenz, steigende Papierpreise und sinkende Buchverkäufe – immer wieder zogen dunkle Wolken auf. Die Kurt-Wolff-Stiftung konnte dazu beitragen, dass sich nicht jedes dieser Unwetter ungehemmt entlud. Sie ist zu einem echten Stabilitätsanker geworden. Sie unterstützt, sie baut Netzwerke auf und sorgt für eine Sichtbarkeit des Miteinanders der unabhängigen Verlage. Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum und danke für Ihre Arbeit. Ich blicke dabei stellvertretend für die vielen, vielen Engagierten zum Vorstand, zu Dr. Katharina Meyer, Sarah Käsmayr und Daniel Beskos und nicht zuletzt zu Karsten Dehler, der in der Geschäftsstelle die Zügel zusammenhält.

Nicht nur vor 25 Jahren, auch schon zu Kurt Wolffs Zeiten war die Gründung eines Verlages ein Wagnis. Seine Lebensgeschichte verdeutlicht das eindrucksvoll. Der raue Wind des Wettbewerbs ist aber bis heute nicht abgeflaut. Für kleine und unabhängige Verlage ist er besonders hart und kann existenzbedrohend werden. Damit droht dann aber auch ein Verlust an verlegerischer Vielfalt, ein Verlust an literarischen und politischen Stimmen im öffentlichen Diskurs, ein Verlust also für die Demokratie.

Deshalb ist es kulturpolitisch so wichtig – und war mir in meiner Amtszeit auch ein persönliches Anliegen – kleine und unabhängige Verlage zu unterstützen. Zum einen durch gute Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel immer wieder das klare Bekenntnis zur Buchpreisbindung. Zum anderen aber auch durch unseren Verlagspreis, den wir weiterentwickeln und noch breiter aufstellen konnten. Ich wünschte, es wäre noch mehr gelungen. Ich weiß, welche Hoffnungen Sie zum Beispiel in eine strukturelle Verlagsförderung legen.

Heute soll es aber um die Preisträger-Verlage gehen. Ich gratuliere dem Verlag „Theater der Zeit“ ganz herzlich zum Kurt-Wolff-Preis. Als bekennende Brechtliebhaberin freut es mich besonders, dass ein Verlag ausgezeichnet wird, der die Schauspielkunst und ihre im Brechtschen Sinne „Schwesternkünste“ erforscht. Und damit auch dafür sorgt, dass sie als ein wesentlicher Bestandteil unserer Kultur wahrgenommen werden. Meine Gratulation gilt natürlich auch der Edition A. B. Fischer, die seit mehr als zwanzig Jahren – vor allem in den Reihen ›Menschen und Orte‹ und ›Wegmarken‹ –die Türen in die persönlichen Welten schreibender Größen öffnet und auf ihren verborgenen Spuren wandelt.

Der Kurt-Wolff-Preis ist nicht nur eine Auszeichnung, sondern auch ein Zeichen des Dankes und der Wertschätzung für all das, was Sie und die vielen anderen kleinen und unabhängigen Verlage leisten. Sie sorgen dafür, dass die Literatur lebendig bleibt, dass wir immer wieder neue Entdeckungen machen können. Und das können wir in diesen Zeiten gut gebrauchen, in denen die Freiheit der Kultur, durch Demokratiefeinde und Rechtstaatsverächter bedroht ist, die ihre Vorstellung von einer vermeintlich „wahren“ und „richtigen“ deutschen Kultur durchsetzen wollen. Wir alle werden den Kampf gegen den Moloch solcher Dummheit im Sinne Kurt Wolffs aufnehmen müssen.

Liebe Verleger:innen, liebe Verantwortliche der Kurt-Wolff-Stiftung, ich wünsche Ihnen dafür – auch in den nächsten 25 Jahren – weiterhin den Ideenreichtum und die verlegerische Freude am Neuen. Vielen Dank!


Rede zum Förderpreis der Kurt Wolff Stiftung 2025

Rede zum Förderpreis der Kurt Wolff Stiftung 2025  

Sehr geehrte Frau Ministerin Roth, verehrte Frau Böhmisch, liebe Katharina Meyer, lieber Friedrich Dieckmann, liebes Kurt Wolff Kuratorium, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebes Publikum   

Es sieht schlimm aus in der Welt, schrieb 1964 die große Autorin Marie Luise Kaschnitz, und sie fügte hinzu: Aber wie es aussehen würde ohne die Anstrengungen der Schreibenden wissen wir nicht. Wie Recht sie hatte! Man könnte den Satz noch ausweiten und die Verlegerinnen und Verleger hinzunehmen. Denn das Schreiben und das Verlegen von Büchern kommt auch in heutigen Zeiten einer Trotzhandlung gleich. Aber manchmal trägt dieser Trotz ganz besondere Früchte. Wie haben wir uns gefreut, dass man uns in diesem Frühjahr den Förderpreis der Kurt Wolff Stiftung verleiht. Eine bessere Anerkennung für mehr als 22 Jahre Arbeit gegen das Vergessen ist kaum vorstellbar – für uns ist das zugleich Ansporn und Verpflichtung! Gerade den kleinen unabhängigen Verlagen weht ja der Wind derzeit heftig ins Gesicht, besonders aber, wenn das Verlagsprogramm etwas außerhalb des publikumsträchtigen Unterhaltungsmarkts liegt. Ich erinnere mich noch genau: Als wir vor 22 Jahren mit unserer kleinen biografischen Reihe Menschen und Orte begannen, da schlug uns aus dem Buchhandel große Skepsis entgegen. Das waren ja schmale Hefte, wenn auch wunderschöne, wie man uns bescheinigte. Aber wie sollte man die ans Publikum bringen? Man musste sie ja breit auslegen, denn im Bücherregal waren sie so gut wie unsichtbar. Und dann diese Themen: Wolfgang Koeppen in Greifswald, Arno Schmidt in Bargfeld, Annette von Droste Hülshoff im Rüschhaus … Eine Buchhändlerin, deren Namen ich hier verschweige, hatte den Namen Wolfgang Koeppen noch nie gehört. Der ist wohl schon lange tot, oder? Und dann nur schwarzweisse Fotos. Warum nicht bunt? Na, und die Verkaufspreise waren auch sehr niedrig und versprachen kaum Umsatz. Zum Glück änderte sich das schnell. Einige Buchhandlungen wagten es, ein Schaufenster mit dem Farbenreigen unserer Umschläge zu gestalten. Und die Leute kamen – und kauften. Und sie fragten nach mehr. Die Neugier auf die Geschichten und die Lebensorte hinter den Werken der SchriftstellerInnen und KünstlerInnen war groß und da kamen unsere kurzen aber künstlerisch liebevoll aufbereiteten Biografien genau richtig. Ja manch ein begeisterte Leser bescheinigte uns, wir hätten gerade mit dieser kleinen Reihe eine neue Kategorie geschaffen: Die Kurzbiografie als Kunstform! Und Buchhändler berichteten, dass ihr Publikum vermehrt auch an den Originalwerken Interesse zeigte. Man fragte plötzlich nach Arno Schmidts Büchern, nach Tania Blixen, Marie Luise Kaschnitz, Anna Seghers. Die Reihe entwickelte sich zum Selbstläufer, genauso wie die zweite, etwas breiter angelegte Biografiereihe, die wegmarken. Und es waren nicht nur, die schönen, oft selbst als poetische Essays daherkommenden Texte, sondern ganz besonders gerade die atmosphärischen Schwarzweissfotos, die ausnahmslos von Angelika Fischer stammen, meiner Verlagspartnerin, für die das A im Verlagsnamen steht. (Übrigens gehören die Punkte zwischen A und B in unserem Verlagsnamen stets auf Mitte gesetzt!) Und nicht nur im Alphabet steht ja der Buchstabe A vor dem Buchstaben B (wie Bernd). Denn als beachtliche Fotokünstlerin ist es ja gerade ihr Ansatz, das Lebensumfeld der Künstler und SchriftstellerInnen in eine Art „indirektes Porträt“ zu bannen, so, als sei die Zeit eben stehen geblieben.

In Virginia Woolfs Roman „Die Fahrt zum Leuchtturm“ gibt es ein Kapitel mit der Überschrift „Die Zeit vergeht“ und darin die Beschreibung eines verlassenen Landhauses. Die Möbel, die Spiegel und die Kleidungsstücke erwachen da zu eigenem Leben: „So herrschten Schönheit und Stille, und miteinander bildeten sie die Gestalt der Schönheit selbst, eine Form, von der das Leben sich geschieden hatte;…“ Genau diese Magie fing die Fotografin auch in ihren Bildern ein, und diese magische Langzeitwirkung war es, die unser Publikum in den Bann schlug und uns eine immer mehr wachsende Anhängerschaft zuführte. Bald wuchs dann auch der Wunsch, nicht nur Persönlichkeiten wieder zu beleben, sondern auch vergessene Werke. Sie kennen das alle: Sie stehen vor Ihrem Bücherregal und ziehen beiläufig ein altes Buch heraus, dass sie irgendwann, kann sein vor Jahrzehnten, antiquarisch erworben haben. Und sie fragen sich: Warum gibt es das heute nicht mehr? Oder warum wurde das nie ins Deutsche übersetzt? Längst sahen wir uns als gestandener Buchverlag, wir wollten neben den Biografien auch Bücher veröffentlichen, die uns wichtig erschienen, und das sowohl von heutigen, wie auch von vergessenen AutorInnen. So entstanden in rascher Folge Romane und vor allem Erzählungsbände, die – das war für mich als Buchgestalter selbstverständlich – auch optisch und haptisch kleine Juwelen sein sollten. Aber leider ging es uns damit, wie dem großen Wilhelm Busch. Jeder kennt seine wunderbaren Bildergeschichten, jeder kennt Max und Moritz und viele auch Die fromme Helene. Dass der Mann überdies ein beindruckender Landschaftsmaler war und auch ein wahrhaft philosophischer Kopf, ist den meisten vollkommen unbekannt. Wir aber waren für viele BuchhändlerInnen „die mit den biografischen Heften“, und so sehr sich unsere Vertreterinnen und Vertreter mühten – denen ich hier noch einmal dafür Anerkennung und Dank aussprechen möchte – die Umsätze unserer Belletristikproduktion blieben stets hinter den Reihentiteln zurück. Dabei haben wir auch hier einiges zu bieten. Ich erwähne da nur die Stories des genialen amerikanischen Erzählers Richard Harding Davis – seinerzeit ein Bestsellerautor – von dem wir eben gestern auf der Messe den zweiten Band Der tollkühne Reiter vorstellen konnten – übrigens wieder in der wunderbaren Übersetzung von Hans Christian Oeser, oder die schaurig schönen Novellen von Carl Jonas Love Almqvist, dem „schwedischen Edgar Allan Poe“, zu dem uns Lutz Rühling so prächtige Neuübersetzungen geliefert hat. Ich selbst hatte als Herzensbuch den ehemaligen Megaseller der britischen Suffragette und Schriftstellerin Beatrice Harraden, Ships that pass in the night, übersetzt, der sich wie eine frühe Fassung von Thomas Manns Zauberberg liest. Aus meiner Übersetzung ihres Romans – Wie Schiffe in der Nacht – wird sogar in Davos an einem Hörpfad zitiert, der sich mit den literarischen Erinnerungen an die dortigen Lungensanatorien befasst. Treten wir auf Büchermärkten auf – was wir sehr gern tun – dann ist das Publikum stets entzückt auch von diesem Teil unseres Programms. Es können also nicht die falschen Bücher sein. Nur der Buchhandel scheint das zu übersehen. Liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler, möchte ich da ausrufen, kommt doch mal an unseren Stand H311, gleich hier vor dem Forum der Unabhängigen und schaut mal etwas genauer hin! Als wir jüngst einen wegmarken-Band über den grandiosen Schriftsteller Wolfgang Hilbig herausbrachten – er wird übrigens morgen um 13:00 genau an diesem Ort durch den Dichter Uwe Kolbe vorgestellt, da konnten wir abermals feststellen, dass ein Autor, der so ziemlich alle deutschen Literaturpreise abgeräumt hatte, nur so lange präsent blieb, wie an ihm der ihm vom Westen angehängte Stallgeruch des „Arbeiterschriftstellers aus der DDR“ haftete. Vielleicht muss ja da gerade ein kleiner Verlag wie wir mithelfen, um diesen Giganten der deutschen Literatur wieder ins Bewusstsein zu bringen? Wir werden jedenfalls nicht nachlassen mit unseren Bemühungen, auch wenn die Zeiten äußerst schwierig sind. Nach der Corona-Pandemie, nach dem Ausbruch des furchtbaren Krieges in der Ukraine und dazu noch einem erzwungenen Wechsel unserer Verlagsauslieferung im Jahr 2022 hatten wir uns so manches Mal gefragt wie es weitergehen würde. Es kam fast einem Wunder gleich, dass wir in einer Zeit, in der etliche Verlage gleichzeitig nach einer neuen Auslieferung suchten, in der Werkstatt in Rastede einen wunderbaren Partner fanden, bei dem wir uns mehr als wohl fühlen. Dafür möchten wir Bernd Weidmann und seinem Team ganz herzlich danken. Und ist es nicht irgendwie symptomatisch, dass im Herbst dieses Jahres in der Edition A·B·Fischer ein Band des Autors Roland Leonhardt erscheint, mit dem Titel Wenn ich Geld hätte…Der Untertitel gibt nähere Auskunft: Dichtung, Geld und Dauerpleite. Erzählt wird darin von dem dauernden Kampf ums Geld, ja manchmal um die bloße Existenz von Dichterinnen und Dichtern, die uns eigentlich als Erfolgsautoren in Erinnerung sind. Ja, selbst viele von ihnen rangen ständig mit ihren Geldsorgen. Wenn man nun – wie eingangs vorgeschlagen – das Statement von Marie Luise Kaschnitz von den Dichtern auf die VerlegerInnen ausdehnt, dann wird vorstellbar, welch große Freude uns die Kurt Wolff Stiftung mit diesem Förderpreis gemacht hat. Neben der großen Ehre die diese Anerkennung für uns und unsere Arbeit darstellt, ist natürlich auch das Preisgeld eine willkommene Unterstützung für uns.

Noch einmal möchte ich in unser beider Namen ganz, ganz herzlich danken, dem Kuratorium, dem Laudator Friedrich Dieckmann, aber unbedingt auch Karsten Dehler und Carolin Callies die mit ihrer unermüdlichen Arbeit all das hier in einen würdigen Rahmen gebracht haben.

Es mag zwar wieder mal schlimm zugehen in der Welt, aber soviel Zusammenhalt und soviel Optimismus in unserer großartigen Verlagsbranche lässt hoffen, dass die Anstregungen der Schreibenden – und der VerlegerInnen – ein mächtiges Gegengewicht für die Kultur und für die Demokratie bilden.

Vielen Dank! Bernd Erhard Fischer, am 28.3.2025